Start / Die Akademie / News.php

Ein Expertinneninterview mit der Forscherin und Kindheitspädagogin Andrea Möllmann

Frau Möllmann, was macht eine Partizipatorische Eingewöhnung aus?

Andrea Möllmann: Das Partizipatorische Eingewöhnung Modell ist ein bindungsorientiertes Eingewöhnungsmodell. Es ist ein Modell, das von Anfang an die Bedürfnisse der ganz jungen Kinder partizipatorisch berücksichtigt und ernst nimmt, ebenso die Bedürfnisse der Eltern und der Fachkraft. Alle Akteure einer Eingewöhnung gestalten aktiv partizipatorisch den Prozess mit.

Wir sehen das Eingewöhnungsmodell im Rahmen eines interdisziplinären Ansatzes. Es bettet sich in einer Vielzahl von aktuell wissenschaftlichen Erkenntnissen ein, z. B. aus der Bindungstheorie, Transitionsforschung, Erkenntnisse der prä-, peri- und postnatalen Psychologie, Traumapädagogik und natürlich frühpädagogische Aspekte. Die Partizipatorische Eingewöhnung stützt sich darauf, lehnt sich da an, findet dort ihre Antworten, warum wir so eingewöhnen sollten, wie die Partizipatorische Eingewöhnung das vorsieht.

 

Was sind Ihrer Meinung nach Chancen konkret für das Kind, die Eltern und die pädagogische Fachkraft?

Andrea Möllmann: Die Chancen beim Kind sehe ich ganz klar darin, dass das Kind einen sanften, sehr sensiblen Übergang erleben darf, der die Selbstwirksamkeit des Kindes wirklich stärkt und Selbstwirksamkeit erfährt. Also die Persönlichkeitsentwicklung wird dadurch unterstützt, dass es gesehen und gehört wird mit seinen Bedürfnissen und mit seinen Interessen, Wünschen, Abneigungen. Also alles das, was einen Menschen auch ausmacht.

Für das begleitende Elternteil, sehe ich die Chance, dass Eltern den Kita Alltag wirklich miterleben dürfen. Wie ist das hier mit dem Essen? So werden die Kinder hier getröstet. Hier geht man die Hände waschen. Das passiert im Morgenkreis. So sieht das Außengelände aus. Also den Tag mit all diesen kleinen Mikrotransaktionen mit ihren Kindern erleben. Und das sehe ich als große Chance an, dass die Eltern mit ihren Kindern gemeinsam, also nicht als außenstehende Zaungäste, sondern mit ihnen aktiv gemeinsam solch einen Alltag erleben dürfen.

Für pädagogische Fachkräfte ist es wichtig zu sehen, dass sie dort wirklich die Beziehung zum Kind und zu den Eltern leben dürfen, und dass darin ganz viel pädagogische, hochprofessionelle Qualität steckt. Weil dann kann ich auch mein Fachwissen gut einbetten und dann macht das richtig Spaß, in den pädagogischen Alltag mit dem Kind einzutauchen.

 

Wie verläuft denn eine Partizipatorische Eingewöhnung? Welche Phasen gibt es hier?

Die Partizipative Eingewöhnung hat sieben Phasen, wobei ich direkt von Anfang an sagen muss, wir sehen das nicht so, dass man eine Phase und die nächste Phase und die nächste Phase erlebt, sondern, dass es tatsächlich gerade in der Phase zwei, drei oder vier, so ist, dass sie sich überschneiden, dass sie ineinander übergehen.

Die erste Phase ist die des Informierens, das Kennenlernen. Das sind so die ersten Anmeldegespräche, Hospitationen, Elternabende, Schnuppernachmittage, alles was dazugehört. Bevor die erste aktive Eingewöhnungsphase startet können sich die Eltern, die Familie und das Kind so schon beschnuppern. Da plädieren wir sehr dafür, dass es ganz früh startet. Sie beginnt am besten schon mit der Anmeldung am Anfang des Jahres.

Wenn die Kinder dann mit ihren Eltern den ersten Tag da sind, dann startet die Phase des Ankommens. Kommt herein und lernt die Räume kennen! Lernt uns Menschen kennen! Das heißt für die Fachkraft, sie ist sehr präsent was das Beobachten angeht, auch präsent was das Begleiten angeht. Ich spüre, ihr braucht gerade auch eine Orientierung. Ihr habt eine Frage, dann bin ich da. Aber sie hält sich zurück. Ich bin da, ich beobachte. Ein zentrales Element ist das wahrnehmende Beobachten in der Partizipatorischen Eingewöhnung.

In der nächsten Phase, in der Kontaktaufnahme geht es darum, passgenaue Kontaktangebote zu machen. Ganz unterbewusst fühlt ein Kind, hier werde ich gesehen, hier werde ich gehört, hier werde ich wahrgenommen, hier werde ich ernst genommen. So fühlt sich der Kontakt erheblich leichter, wohliger und auch sanfter an. Das können weite Kontakte, enge Kontakte sein. Da ist immer auf die nonverbalen Signale des Kindes zu achten. Was wünschst du? Wie nah darf ich dir schon kommen?

Dann entwickelt sich das ganz automatisch, dass wir schon in der nächsten Phase, Beziehungsaufbau, sind. Wenn wir erkennen können, hier und da gibt es Momente, in denen das Kind den Kontakt sucht oder auf Angebote der Fachkraft eingeht, startet die Phase des Beziehungsaufbaus. Das ist ein Prozess, den wir beobachten können, wenn zum Beispiel, das Kind aus dem Sandkasten kommt, ist ganz verschmiert, steht da und zeigt seine Hände und ich dann „Möchtest du die Hände waschen?“ Und das Kind nickt. Und dann fragst du „Möchtest du mit mir gehen?“ Und das Kind geht gerne mit. Das ist so ein Moment, da gehen wir über den Kontakt hinaus. Jetzt beginnt Beziehungsaufbau. Das Kind vertraut mir, es geht mit mir mit in eine Pflegesituation.

Und so kommen wir in Phase fünf, des Wohlfühlens, wo es wirklich noch mal darum geht, dem Kind mit dem Elternteil die Zeit zu geben. Von hier kannst du dich noch mal wohlfühlen. Wir lassen dir noch mal Zeit, bevor wir in die Trennung gehen. Das Kind weiß, es ist seine Mama oder sein Papa da. Es könnte sich rückversichern, aber es braucht es gerade nicht. Ich kann mal ganz lange mit einer Fachkraft hier sein, der ich vertraue. Was uns da sehr wichtig ist, dass wenn Kinder Rückversicherung brauchen, ist die Bindungsperson, die das begleitet, da als sicherer Hafen.

Was auch wichtig ist, dass wir genauso die Eltern mit reinnehmen. Auch Eltern sollen Kontakt aufnehmen. Auch sie bauen erst mal eine Beziehung zur Fachkraft auf. Auch sie fangen an, sich wohler zu fühlen.

Nachdem wir sagen, es ist alles im Wohlfühlrahmen, kommen wir zur Phase sechs. Das ist immer die Phase, wo wir die meisten Fragen zu bekommen von Fachkräften. Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Die ersten Trennungsversuche. Die Beziehung sanft zu gestalten und so in den Beziehungsaufbau zu gehen, dann ist die Trennungssituation in der Regel unproblematisch, ich sage es so (mit Anführungszeichen), weil natürlich ein Kind auch hier weinen darf. Und natürlich darf es traurig sein, weil, es ist doch ganz normal. Seine Mama oder Papa, die gehen jetzt und verabschieden sich. Die Kinder waren eine sehr lange Zeit, sehr intensiv, und wenn wir von Schwangerschaft mal beginnen, mindestens mal zwei Jahre in der Regel mit ihren Eltern sehr innig verbunden. Und da muss ich mich jetzt von verabschieden. Und ich finde ein Kind darf da traurig sein und darf auch mal weinen.

Was wir aber da nicht erleben oder was wir vermeiden in der Partizipatorischen Eingewöhnung, sind diese herzzerreißenden Szenen. Das Kind klammert sich und zeigt uns ganz klar mit all seiner Kraft von Körperausdruck „ich möchte das nicht“. Bitte bleibe hier und die Fachkraft nimmt das Kind weg. Das gibt es in der Partizipatorischen Eingewöhnung gar nicht. Wenn wir das erleben, heißt es hier „Stopp“. Wir haben hier irgendwas übersehen. Noch mal ganz neu beobachten. Ruhig. Wir gehen wirklich in die Beobachtung rein. Das haben wir aber so noch nicht erlebt, weil es wirklich vorher sehr feinfühlig läuft.

Die siebte Phase: jetzt beginnt nochmal eine neue Situation. Ich bin jetzt ganz alleine und vielleicht kommt der Moment: ich bin gefallen und habe mir richtig dolle wehgetan. Und dann brauche ich diesen Schutz und den Trost, den eigentlich meine Bindungsperson mir so geben würde. Und jetzt macht es die Fachkraft. Das ist neu. Und da legen wir viel Wert darauf, dass wir da noch offenbleiben, sensibel bleiben, präsent bleiben für das Kind, dass wir sagen „Ja, das Kind ist eingewöhnt“ oder besser „Ja, das Kind hat sich eingelebt“, weil, das Kind soll sich ja nicht an etwas gewöhnen. Wir wünschen uns ja, dass es sich einlebt. Und das ist noch eine ganz, ganz lange Zeit dahinter, dass wir diese Sensibilität mitnehmen.

 

Kann es dann nicht sein, dass die Eingewöhnung irrsinnig lange dauert? Viele Eltern müssen ja relativ schnell wieder arbeiten. Wie gehen die Fachkräfte damit um?

Ganz, ganz viel Transparenz, viel Aufklärung. Wirklich sagen, wir brauchen Sie hier als Eltern, Ihr Kind braucht Sie aus den und den Gründen und wir wünschen uns, dass Sie sich die Zeit nehmen, dass Sie hier sind und dass Sie es wie so ein Urlaub mit Ihrem Kind hier gestalten.

Wir haben festgestellt, dass, wenn wir das lebendiger leben, dann ist dieser Punkt der Planung auf jeden Fall etwas leichter. Und natürlich kommen wir auch immer wieder in Situationen, wo es schwierig ist. Dann müssen wir abwägen: Was ist das Bedürfnis der Eltern? Was ist das Bedürfnis des Kindes? Unsere pädagogische Haltung sagt das, wie kriegen wir das zusammen? Und wie kriegen wir das am besten fürs Kind gelöst?

 

Sollten sich Fachkräfte auf ein Kind fokussieren oder ist eine Eingewöhnung von mehreren Kindern möglich?

Es ist tatsächlich möglich. Es kommt natürlich immer darauf an. Arbeite ich in einer inklusiven Einrichtung? Das muss man natürlich auch berücksichtigen. Welche Kinder werden eingewöhnt? Welche Altersstruktur habe ich? Wie viele Kinder in der ganzen Gruppe werden gleichzeitig eingewöhnt?

Gerade jüngere Kinder bleiben oft nicht den ganzen Tag, so dass wir sie wirklich versetzt kommen lassen können. Ich werde immer gefragt „Wie viele denn gleichzeitig?“, finde ich ganz schwierig zu sagen. Das hängt von vielen Faktoren ab. Wir hatten zwei Eingewöhnungen gleichzeitig, die haben wir als gut empfunden. Und es gab welche, die hatten mehrere und es war wirklich sehr schwierig. Man darf das nicht unterschätzen.

Für die Fachkräfte ist das eine wahnsinnig herausfordernde Zeit. Es wird erwartet von der Fachkraft, dass sie da, dass sie Halt gibt, dass sie Sicherheit gibt, dass sie die Orientierung, der Leuchtturm in dieser stürmischen Zeit ist. Das ist auch richtig so, das kann eine Fachkraft auch. Nur was nicht vergessen werden darf, dass Fachkräfte auch Menschen sind und dass auch sie Zeit brauchen für die Fürsorge für sich selbst, für Stabilisierung, um sich zu regulieren, zu stabilisieren.

 

Was hat Sie besonders an dem Modell überzeugt oder begeistert?

Ich würde sagen ALLES, aber ich versuch es mal zu differenzieren. Es ist die pädagogische Haltung. Dazu gehört das wahrnehmende Beobachten, das begeistert mich. Das heißt, dass sich Menschen hier begegnen dürfen. Also Mensch begegnet Mensch und da gibt es eine Herz- und eine Fachkompetenz. Und wir Fachkräfte haben natürlich Fachkompetenzen und ich finde es grandios, wenn ich in meiner Fachkompetenz meine Herzkompetenz mitnehmen darf und wir uns dann als Mensch begegnen.

Sie möchten mehr über das Eingewöhnungsmodell erfahren?

Dann klicke hier.
powered by webEdition CMS